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Kopieren als Kulturtechnik

Die Befreiung des Buches

11. November 2007 von Christian Imhorst

Im Gegensatz zur Musik- und Filmindustrie sind Buch-Verlage von der digitalen Revolution noch am wenigsten betroffen. Kopiergeschützte Bücher sind, abgesehen vom Hörbuch, in Internettauschbörsen kaum anzutreffen. Musik hören und Filme gucken mag am Computer noch gehen, aber zum Lesen wird immer noch das Buch bevorzugt. Den Grund dafür nennt Umberto Eco in seinem Vortrag Vegetal and mineral memory: The future of books:

Up to now, books still represent the most economical, flexible, wash-and-wear way to transport information at a very low cost. Computer communication travels ahead of you; books travel with you and at your speed. If you are shipwrecked on a desert island, where you don’t have the option of plugging in a computer, a book is still a valuable instrument. Even if your computer has solar batteries, you cannot easily read it while lying in a hammock. Books are still the best companions for a shipwreck, or for the day after the night before. Books belong to those kinds of instruments that, once invented, have not been further improved because they are already alright, such as the hammer, the knife, spoon or scissors.

Das Buch ist als Technologie einfach nicht mehr weiter verbesserbar. Vom heutigen technischen Standpunkt aus betrachtet, ist es einfacher die Seiten eines Buchs zu lesen, als von einem Computer- oder Handy-Display. Außerdem kann das Buch ein guter Langzeitspeicher sein, wenn es richtig aufbewahrt und vor Verwitterung und Zersetzung geschützt wird. Immerhin sind noch heute Informationen aus mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte erhalten, die ohne Bücher nicht überliefert wären, während digitale Informationen aus den 1950er bis 1990er Jahren unleserlich sind, weil es das Dateiformat nicht mehr gibt, oder der Datenträger nicht mehr gelesen werden kann. In Ecos Beispiel genießt der Schiffbrüchige auf der einsamen Insel die zusätzlichen technologischen Vorteile eines Buchs: es benötigt keinen Strom, es ist stoßfest, wasserdicht und unempfindlich gegen extreme Temperaturen und Staub.

Die digitale Revolution wird das Buch somit nicht überflüssig machen, sie kann aber einen entscheidenden Nachteil des Buchs verbessern. Als digitale Information kann das Buch jederzeit weltweit verfügbar sein, vorausgesetzt natürlich, man hat Zugriff auf ein digitales Netz oder Netzwerk. Der Inselbewohner ohne Handy oder Internet wird immer mehr zur Ausnahme, als zur Regel. Abgesehen davon, dass sich Computer und Internet weiter verbreiten, gibt es auch immer mehr Handybesitzer auf der Welt. In Afrika wurde zum Beispiel dieses Jahr die 200-Millionen-Marke überschritten und die Zahl der Handynutzer soll bis 2010 auf 3 Milliarden ansteigen. Eine unglaubliche Chance also, Bücher im entsprechendem Format der Menschheit zeitgleich zur Verfügung zu stellen.

Dass man Bücher auch auf dem Handy lesen kann, beweist ein Trend aus Japan. Der Roman „What the Angel Gave Me“ von Chaco wurde zum Beispiel über eine Millionen Mal verkauft, aber nie gedruckt. Das Buch wurde auf einem Handy geschrieben und von Handy-Benutzern zum Lesen heruntergeladen. „I can type faster on my phone than on a standard keyboard“, sagt die Autorin dazu dem Online-Magazin Wired. Die Bücher werden von den Autoren bei Magic iLand hochgeladen und können für etwa 10 Dollar von Lesern heruntergeladen werden.

Wenn man heutzutage zeitgemäß publizieren will, reicht es also nicht aus, nur noch ein gedrucktes Werk und vielleicht noch ein PDF als E-Book dreinzugeben. Der Science-Fiction-Autor Cory Doctorow veröffentlicht seit seinem Roman Down and Out in the Magic Kingdom nicht nur gedruckte Bücher, sondern bietet die Geschichten zusätzlich auf seiner Homepage in den verschiedensten Dateiformaten zum Download an. In Deutschland ist man wie immer noch nicht ganz so weit. Bei Random House, bzw. Bertelsmann, bzw. Heyne gibt es die deutsche Version mit dem Titel „Backup“ nur als PDF. Auf Doctorows Homepage dagegen findet man Text-, HTML-, PDF-, LaTeX-, PalmOS-Dateien und noch viele weitere Formate für E-Book-Reader, dem Gameboy Advance (eine Spielekonsole) und viele mehr.

Ein weiteres Beispiel ist das Homepage-Projekt eines einzelnen Programmierers. Mit manybooks.net will Matthew McClintock die Werke aus dem Projekt Gutenberg in möglichst vielen Dateiformaten zur Verfügung stellen. Wie alle anderen Titel auf der Site auch kann man zum Beispiel den Kurzgeschichtenband Zur Freundlichen Erinnerung von Oskar Maria Graf in mehr als 20 verschiedenen Formaten herunterladen. Irgendeines dieser Formate wird auf einem Laptop, PDA oder modernem Handy schon lesbar sein.

Bei Doctorow und manybooks.net fehlt eigentlich nur noch, dass nicht-englische Texte, nicht nur als Textdatei im US-ASCII– oder ISO-8859-Format, sondern auch noch zusätzlich im UTF-Format angeboten werden. Das trifft bei englischen Autoren wie Doctorow natürlich nur auf die Übersetzungen zu. Außerdem sollte das E-Book nicht nur komplett zum Download angeboten werden, sondern auch in seine einzelnen Kapitel oder Kurzgeschichten zerlegt. Nicht jeder Prozessor und jedes Betriebssstem mag mit so großen Dateien zurecht kommen.

Im Gegensatz zu den Handyromanen aus Japan und anderen E-Book-Anbietern stehen die Bücher auf den Seiten von Doctorow und McClintocks manybooks.net unter einer freien Lizenz, bzw. sind so alt, dass sie Public Domain, also öffentliches Eigentum sind. Doctorow betont auf seiner Homepage besonders den Unterschied zwischen seinen E-Books und den elektronischen Büchern anderer Anbieter:

The entire text of my novel is available as a free download in a variety of standards-defined formats. No crappy DRM, no teasers, just the whole damned book. If you want to get the book between covers, check out all the fine bookstores where you can buy it.

Warum macht er das? Würde er nicht viel mehr Geld mit dem Buch verdienen, wenn es nicht unter einer freien Lizenz wie der Creative Commons stehen würde. Doctorows Antwort darauf findet man in der Einleitung zum englischen Original von Down and Out in the Magic Kingdom:

I’m releasing the entire text of this book as a free, freely redistributable e-book. You can download it, put it on a P2P net, put it on your site, email it to a friend, and, if you’re addicted to dead trees, you can even print it.

Why am I doing this thing? Well, it’s a long story, but to shorten it up: first-time novelists have a tough row to hoe. Our publishers don’t have a lot of promotional budget to throw at unknown factors like us. Mostly, we rise and fall based on word-of-mouth. I’m not bad at word-of-mouth. I have a blog, Boing Boing (http://boingboing.net), where I do a *lot* of word-of-mouthing. I compulsively tell friends and strangers about things that I like.

And telling people about stuff I like is *way*, *way* easier if I can just send it to ‚em. Way easier.

Doctorow scheint als Autor von seinen Büchern leben zu können, und das obwohl sie frei verfügbar sind. Vermutlich gewinnt er viele Leser, die anfangen, sich in seine Geschichten hineinzulesen, um dann das Buch zum weiterlesen zu kaufen. Schließlich ist das Buch, wie weiter oben schon erwähnt, ein fantastisches Stück Technologie, das die Aufnahme von Information in vielen Punkten erleichtert. Das freie E-Book ist demnach eine prima Werbung für das gedruckte Werk.

Für einen Autor wie Doctorow dürfte es aber noch viel wichtiger sein, dass er überall auf der Welt gelesen werden kann, wo ein Internetanschluss verfügbar ist. Menschen, die aus politischen und ökonomischen Gründen vermutlich niemals dazu in der Lage sein werden, sich das Buch zu bestellen, können es sich aus dem Internet herunterladen und lesen. So können Doctorows Bücher zum Beispiel trotz des Wirtschaftsembargos auf Kuba gelesen werden. Seine Texte können in Internetcafes, Schulen und Bibliotheken mit Internetzugang von Havana über Abuja, Teheran und Peking heruntergeladen, ausgedruckt oder aufs Handy übertragen werden.

Und wenn man als Autor davon nicht leben kann? Dann kann man es mit Richard Stallman halten, dem Vorreiter in Sachen Copyleft. Im GNU Manifesto schreibt er:

[…] nobody is forced to be a programmer. Most of us cannot manage to get any money for standing on the street and making faces. But we are not, as a result, condemned to spend our lives standing on the street making faces, and starving. We do something else. […] Actually, many people will program with absolutely no monetary incentive. Programming has an irresistible fascination for some people, usually the people who are best at it. There is no shortage of professional musicians who keep at it even though they have no hope of making a living that way. […] So the right question is, will anyone program with a reduced monetary incentive? My experience shows that they will.

Auf den Berufsstand des Autors übertragen hieße das: „Niemand wird dazu gezwungen, ein Autor zu sein. Die meisten von uns werden kein Geld damit verdienen können, sich an die Straße zu stellen und Grimassen zu schneiden. Es ist aber auch niemand lebenslänglich dazu verdammt, Grimassen auf der Straße zu schneiden und zu verhungern. Wir machen einfach etwas anderes. Heutzutage schreiben viele Leute ohne jeden finanziellen Anreiz. Das Schreiben übt auf einige Menschen eine unwiderstehliche Faszination aus, üblicherweise auf die, die es am besten können. Es gibt auch keinen Mangel an professionellen Musikern, die bei ihrer Musik bleiben, obwohl die wenigsten hoffen können, jemals ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Die richtige Frage ist also, ob irgendwer schreiben wird, obwohl der finanzielle Anreiz gering ist? Meiner Erfahrung nach werden sie es tun.“

Mit Büchern Geld zu verdienen ist nur für Verlage interessant, weil sie wirtschaftlich rechnen müssen. Ein Autor im Informationszeitalter muss das nicht mehr. Er kann sein Geld auf andere Weise verdienen und nebenher aus Leidenschaft für sein Publikum schreiben und veröffentlichen. Andererseits heißt das nicht, dass man als Autor gar kein Geld mehr verdienen soll, wenn man sein Werk unter einer freien Lizenz herausgibt. Man kann seine Leser um Spenden bitten, das Buch bei Lulu.com publizieren, künstlerisch wertvolle Einzelexemplare anfertigen und so fort. Ohne Digitale Rechteverwaltung und Copyright sind der Phantasie beim Verkaufen und Verteilen keine Grenzen gesetzt. Besonders nicht beim Verteilen, was für einen Autor, der gelesen werden will, das Wichtigste ist.

Geschrieben in Copyleft